KAB Diözesanverband Paderborn

Corona macht nicht Halt an Betriebsgrenzen

Es sollte eigentlich der Beginn von guten Nachrichten sein: Im vergangenen Monat hatte die Bundesregierung beschlossen, ab 1.1.2021 die Werkverträge in der Fleischindustrie zu verbieten. Damit wären endlich die Schlachtbetriebe selbst verantwortlich gewesen für die Arbeitsbedingungen der bei ihnen Beschäftigten. Seit Jahren gibt es Klagen über krankmachende Verhältnisse vor allem in den Abteilungen, in denen die geschlachteten Tiere zerlegt werden. Es gibt ebenso Klagen über zu lange Arbeitszeiten und Dumpinglöhne, über mangelnde Sicherheitsmaßnahmen, über schwere körperliche Belastungen durch anstrengende Bewegungen, Arbeit in Kälte und Lärm. Der Transport von der Unterkunft zum Arbeitsplatz und zurück erfolgt oft in Sammeltransporten. Das führt dazu, dass viele der Beschäftigten im Straßenbild nicht zu sehen sind: Außer für Arbeit und Schlafen reicht das Geld und die Zeit häufig nicht. Und damit nicht genug: viele der Beschäftigten sind in Unterkünften ohne Privatsphäre untergebracht, sie teilen sich ein Bett, eine Küche, eine Toilette, und oft genug gibt es Schimmelbefall.

Ziemlich genau vor zwei Jahren habe ich eine Podiumsdiskussion der Interessengemeinschaft WerkFAIRträge auf dem Kirchplatz in Rheda-Wiedenbrück moderiert, in der es schwerpunktmäßig um diese Unterkünfte ging. Mitglieder der Bürgerinitiative hatten Fotos dabei, die die Zustände dokumentierten. Auf dem Podium standen unter anderen ein Vertreter der Firma Tönnies, der für die Kontrolle der Wohnungen zuständige Mitarbeiter der Stadt, der linke Bundestagsabgeordnete (und ehemalige Jurist bei der evangelisch-reformierten Lippischen Landeskirche) Friedrich Straetmanns aus Bielefeld und der örtliche Abgeordnete Ralph Brinkhaus, der kurz darauf Fraktionsvorsitzender der CDU im Deutschen Bundestag wurde. Vor allem die Politiker waren sich mit der Bürgerinitiative einig, dass hier dringend etwas geschehen müsste, weil die Lebensbedingungen der Beschäftigten gesundheitsgefährdend und menschenunwürdig seien.

Die jahrelangen Warnungen waren also nicht zu überhören. Und jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Die mangelhaft eingelösten Versprechen auf Besserungen haben dazu geführt, dass zwei Drittel der Untersuchten mit dem Corona-Virus infiziert sind. Es ist zu vermuten, dass das Infektionsgeschehen in der Firma Tönnies einige Tage kaum aufgefallen ist, sonst wäre kaum diese Größenordnung entstanden. Die firmeneigenen Tests haben nur einen Teil der Fälle aufgedeckt. Die Alarmglocken schrillten erst, als niedergelassene Ärzte von der massiven Zunahme von Infektionen aus der Schlachtfabrik berichteten.Die jahrelange Verletzung der Menschenwürde hat für einen Aufschrei nicht gereicht. Erst jetzt geht der Aufschrei durchs ganze  Land: Was so lange verdrängt wurde, betrifft auf einmal viele Menschen im gesamten Landkreis Gütersloh: Schulen und Kitas werden wieder geschlossen, Tausende sind in Quarantäne gezwungen, die Schweinemastbetriebe haben Mühe, ihre täglich zur Schlachtung eingeplanten 25.000 Schweine loszuwerden: Die Ausgrenzung von Menschen am Rande der Gesellschaft schlägt auf alle zurück. Wird die Firma Tönnies – und andere, die Menschen unter ähnlichen Bedingungen beschäftigen – die Verantwortung für die Folgen übernehmen? Wird die Politik jetzt wirksam umsteuern? Und werden die Verbraucher aus den katastrophalen Folgen der industriellen Fleischproduktion lernen? Der Zeitpunkt zur Bekehrung ist günstig!

Konrad Nagel-Strotmann, KAB-Diözesanvorsitzender

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