KAB Diözesanverband Paderborn

Der DOM im Gespräch mit Konrad Nagel-Strotmann

Herr Nagel-Strotmann, gibt es einen Satz im Glaubensbekenntnis, über den Sie stolpern, der Ihnen schwer über die Lippen kommt? 

Da fallen mir mehrere Stellen ein, die ich am Glaubensbekenntnis schwierig finde. Zuerst einmal die Aussage, ich glaube an Gott, den Vater. Wobei dies wohl einfach der Zeit geschuldet ist, in der das Glaubensbekenntnis entstanden ist. Heute spricht man auch über weibliche und mütterliche Anteile beim Gottesbild. Wenn man an die vielen Bezeichnungen für Gott im Judentum oder Islam denkt, dann ist es eine sehr reduzierte Sichtweise, ihn nur als Vater zu bezeichnen. Problematischer ist für mich der Satz, ich glaube an die heilige katholische Kirche. Das erinnert mich an das Lied „Fest soll mein Taufbund immer stehen“. Darin heißt es, „Ich will die Kirche hören und folgen ihren Lehren“. In einer neueren Strophe heißt es „Ich will auf Christus hören“. Ich hätte mich gefreut, wenn man in diesem Zusammenhang auf die erste Strophe ganz verzichtet hätte.  

Warum ist der Begriff „katholische Kirche“ hier so ein Problem für Sie? 

Es klingt so, als wäre das Glaubensbekenntnis für die römisch-katholische Kirche definiert und nicht in der ursprünglichen Wortbedeutung von katholisch, nämlich dass es eine allgemeine weltumspannende christliche Kirche geben muss. Ich denke es ist nicht ganz zufällig, dass man katholisch hier nicht übersetzt hat, und dadurch eben den direkten Bezug auf die römisch-katholische Kirche herstellt. Das Schwierigste für mich am Glaubensbekenntnis ist allerdings, dass mir dabei etwas fehlt. 

Was genau? 

Die Verkündigung des Reiches Gottes, also die zentrale Lebensaufgabe Jesu während seiner Zeit in der Welt. Die Tatsache, dass das im Glaubensbekenntnis nicht erwähnt wird, hat theologiegeschichtliche Hintergründe. Heute müssen wir aber sagen: Das Reden und Handeln Jesu während seiner Lebenszeit spielt eine zentrale Rolle. Deswegen ist er hingerichtet worden. Und seine Auferweckung von den Toten sagt dann: Jesus hat mit seinem Weg recht gehabt, er ist nicht gescheitert. Die Auferstehung ist eine Hoffnung gerade für diejenigen, die für ihre Treue zu Gottes Willen verfolgt und umgebracht werden. 

Haben Sie über diese Schwierigkeiten schon einmal mit jemand anderem gesprochen? 

Das war schon während meines Theologie-Studiums immer mal Thema. In einer Vorlesung in Münster von Johann Baptist Metz wurde diese Frage gestellt. In Frankfurt, wo ich die längste Zeit studiert habe, hat der Dogmatiker Medard Kehl sehr deutlich gemacht, dass es einen klaren Unterschied gibt zwischen dem Glauben an Gott und dem Vertrauen auf ihn, und dem Glauben, dass  eine einzige umfassende – also „katholische“ – Kirche existiert. Die zentrale Frage der Reich-Gottes-Verkündigung, ohne die das Bekenntnis zum christlichen Glauben schnell seine Bedeutung für Geschichte und Gesellschaft verliert, beschäftigt mich schon sehr lange und immer wieder. 

Aber Sie sind natürlich Mitglied dieser Kirche. Seit wann eigentlich? 

Ich bin an einem 13. Oktober geboren und an einem 31. Oktober getauft worden. Es gibt also ein konkretes Datum, das schon viele Jahrzehnte zurückliegt. 

Das ist der offizielle Termin; wie haben Sie den Glauben dann kennengelernt, wer hat Sie damit vertraut gemacht? 

Ich komme aus einer sehr katholischen Familie. Geboren bin ich in Bremen, wo es nicht normal ist, katholisch zu sein. Das eine Prozent Anteil der Katholiken an der Bevölkerung ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg größer geworden. Dann lag der Anteil durch Zuwanderung bei rund zehn Prozent. So eine Minderheiten-Situation bewirkt ein recht geschlossenes Milieu mit der entsprechenden Sozialisierung: Ich bin zum Bespiel Messdiener geworden; eine klassische Laufbahn eben. Wobei ich mich im kirchlichen Kontext immer wohl gefühlt habe! Das galt auch für Kontakte zu evangelischen Christen. Ich habe zum Beispiel eine Zeitlang in einem evangelischen Kirchenchor gesungen. Das hat letztlich dazu geführt, dass ich auch beruflich gern in einer Kirchengemeinde arbeiten wollte. Daraus erwuchs dann die Motivation, Theologie zu studieren. 

Wie weit hat die Diaspora-Situation Sie in Ihrem Glauben bestärkt? 

Sie hat zumindest das Milieu, in dem ich mich bewegte, übersichtlicher gemacht, und sie hatte in meiner Jugend auch Einfluss auf meine Sicht anderer Konfessionen. Als Kind dachte ich zum Beispiel, dass evangelische Christen gar nicht in die Kirche gingen und wir Katholiken jeden Sonntag. Das hat natürlich damals alles zu meinem Lebensgefühl beigetragen. Ob es mich auch in meinem Glauben bestärkt hat, weiß ich gar nicht. Wenn ich über meinen Glauben nachdenke, muss ich sagen, dass ich ohne mein Theologie-Studium und meine Beschäftigung mit der Bibel heute wahrscheinlich nicht mehr in der Kirche wäre. Das Lebensgefühl war der Anlass für mich, Theologie zu studieren. Wenn ich dabei allerdings stehen geblieben wäre, hätte es wohl nicht ausgereicht, um mich in der Kirche zu halten. Wobei meine Kindheit und Jugend eine schöne Zeit war! 

Die Glaubensinhalte haben Sie also zuerst einmal auf den klassischen Wegen kennen gelernt? 

Ich war zum Beispiel auch auf einer katholischen Schule. Für die katholischen Eltern war das selbstverständlich, sie schickten ihre Kinder nicht auf eine staatliche Grundschule.  

Die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten folgte dann im Studium? 

Ich habe in Frankfurt bei den Jesuiten studiert, und dort war das ein wesentlicher Teil des Studiums. Ein anderer Aspekt dieses Studiums ist, dass mir damals vieles klar oder klarer geworden ist, was mich bis heute begleitet und integraler Bestandteil meines Lebens geworden ist: Die Bedeutung der jüdisch-christlichen Tradition und ihr Anspruch. Die Tatsache zum Beispiel, dass sie die Frage nach der Gerechtigkeit, nach der Solidarität mit denjenigen, die am Rande stehen, in den Mittelpunkt stellt. Dieser Aspekt oder besser die Intensität dieser Frage nach der Gerechtigkeit war es wohl, der mich vor dem Austritt aus der Kirche gerettet hat. Bis dahin war Kirche für mich eher das Nachvollziehen bestimmter religiöser Formen und das sich in dieser Gemeinschaft zu Hause Fühlen. Mein Verständnis von Religion hat sich durch das Studium, aber auch durch die Begegnung mit  Menschen, die diese Solidarität gelebt haben, gewandelt. 

Welche Vorstellung von Gott haben Sie? 

Zum Bild als Vater habe ich ja schon etwas gesagt, das ist mir zu eng. Meine Gottesvorstellung wird sehr durch die Bibel genährt. Für mich ist der erste Satz der Zehn Gebote zu einer zentralen Vorstellung geworden. Früher stand im Gotteslob zum Beispiel nur „Ich bin der Herr, dein Gott! Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ In der neuen Gotteslob-Fassung steht jetzt: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Sklavenhaus Ägyptens befreit hat.“ Das ist für mich eine ganz zentrale Veränderung in der Gottesvorstellung: Gott befreit uns aus der Sklaverei! Uns alle, aber in erster Linie diejenigen, die wirklich sklavenähnliche Verhältnisse erleben; in psychischer Hinsicht, vor allem aber in sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht. Diese Menschen sind die besonderen Lieblinge Gottes, und das steht für mich ganz vorne! 

Was gehört noch zu Ihrem Gottesbild? 

Von meinem Wunsch her, mich an ihn zu richten, wäre mir eine gute Freundin eigentlich lieber. Was ich meine, ist diese enge Vertrautheit: Man kann gar nicht unbedingt alles verstehen, aber ich kann mich hundertprozentig darauf verlassen. Ich habe immer jemand, der oder die mein Ansprechpartner ist. Diese persönliche Ebene spielt schon eine wichtige Rolle! Gott ist nicht nur der Garant für eine Gerechtigkeit, sondern auch jemand, zu dem ich einen ganz persönlichen Zugang haben kann! 

Sie sind ja KAB-Diözesanvorsitzender, aber wie merken die Menschen, die nicht wissen, dass Sie das sind, dass Sie katholisch sind? 

Man kann schlecht trennen. Ich glaube, ich reagiere recht positiv auf andere Menschen und kann mich gut auf andere Menschen einlassen. Ob dass jetzt spezifisch christlich oder katholisch ist, weiß ich nicht. Es gibt aber auch Zusammenhänge, wo direkt das Gespräch darauf kommt. Etwa bei Solidaritätsaktionen oder in Gruppen wie dem Paderborner Arbeitslosenzentrum oder dem Flüchtlingsrat. Die Menschen dort fragen mich, was das mit meinem Glauben zu tun hat. Sie wissen, wofür die KAB steht, wofür ich stehe, sagen aber gleichzeitig, dass man das doch auch außerhalb der Kirche tun könne; nach dem Motto: „Warum bist du bei diesem Laden dabei?“ 

Was antworten Sie auf diese Frage? 

Ich erkläre dann, dass das genau mein Weg ist, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Und setze gern hinzu, dass Gott überall wirkt – auch außerhalb der katholischen Kirche. Wenn Menschen sich für die Rechte von Arbeitslosen oder Flüchtlingen einsetzen und Gott sich dafür interessiert, dann ist das in meiner Perspektive Wirken Gottes. Wobei ich auch erkläre, dass andere das nicht genauso sehen müssen.  

Können Sie sich an Momente erinnern, in denen man Sie angesprochen hat, weil Sie katholisch sind? Manchmal ist das ja in existenziellen Situationen so, etwa wenn es um den Tod geht. 

Das jetzt nicht unbedingt, aber es gibt immer mal wieder Alltagssituationen, in denen das passiert. Früher häufiger bei Zugfahrten, als man dabei noch miteinander ins Gespräch gekommen ist. Ich erinnere mich an eine längere Reha-Maßnahme, bei der man natürlich mit den Menschen, die man immer wieder trifft, ins Gespräch kommt. Wenn man sich über seinen Hintergrund ausgetauscht hat, kommen die Fragen: Oft sind das im Zusammenhang mit Kirche skeptische Fragen; solche, die auch jetzt beim Synodalen Weg diskutiert werden. Oder es geht um die Bibel: Ich habe zum Beispiel mit einem Investment-Banker von der Deutschen Bank mal über den Turmbau zu Babel diskutiert. Menschen haben offensichtlich Interesse an biblischen Formulierungen und Themen, wenn sie mitbekommen, was eigentlich dahintersteht. Dann verliert es das Formelhafte und Fremde. Bei der Beschäftigung mit fremder Literatur ist es ähnlich: Plötzlich entdeckt man den entscheidenden Inhalt. Wenn ich die Bibel als eine Art Polizeibericht lese, dann verstehe ich halt die wichtigen Punkte nicht. Wenn man sich als Theologe geoutet hat, ergeben sich sehr schnell Fragen und Gespräche, in denen man Rede und Antwort stehen muss. 

Wie leben Sie Ihren Glauben, wie pflegen Sie ihn? Gehört der regelmäßige Gottesdienstbesuch dazu? 

Früher habe ich Orgel gespielt, da waren es am Sonntag gleich mehrere Gottesdienste. Vor Corona bin ich regelmäßig sonntags zur Kirche gegangen, seit Corona hat das abgenommen. Das liegt zum einen daran, dass alles sehr umständlich geworden ist, zum anderen aber auch daran, dass ich, gerade wenn es um die Bibelauslegung geht, enttäuscht werde. Meine Frau, die ja auch Theologin ist, empfindet das Gleiche. Mit der Konsequenz, dass man in den Gottesdienst geht und eigentlich schon weiß, dass es etwas geben wird, über das man sich ärgert. Das ist natürlich nicht der Sinn des Kirchgangs! 

Was machen Sie stattdessen? 

Meine Frau und ich beten jeden Morgen einen Psalm, das ist unser Ritual vor dem Frühstück. Wir befassen uns viel mit der Bibel: Lesen, darüber nachdenken, miteinander diskutieren. Die Bibel ist ein zentraler Punkt, aber auch Lieder haben einen wichtigen Stellenwert. Ich bin stark geprägt durch die Lieder von Huub Oosterhuis und anderen aus dieser Zeit. Sie gehen viel stärker auf mein religiöses Lebensgefühl ein als zum Beispiel viele Kirchenlieder aus dem Paderborner Anhang des „Gotteslobs“. Als ich aus einem anderen Bistum nach Paderborn gekommen bin, war mir einiges speziell in diesen Liedern musikalisch zu einseitig und theologisch regelrecht fremd. 

Sie haben es eben schon gesagt, das Theologie-Studium hat Sie in der Kirche gehalten? Mit Blick auf den aktuellen Missbrauchsskandal: War Austritt nie ein Thema? 

Nein, auf keinen Fall! Ich kann verstehen, wenn Leute aus der katholischen Kirche austreten, aber für mich selbst habe ich darüber nie nachgedacht. Mir fällt nichts ein, was zum Beispiel die Tradition, die über die Bibel auf mich gekommen ist, transportieren könnte. Das konnte und kann nur die Kirche! Mit Blick auf gesellschaftliche Probleme zum Beispiel in den Neuen Bundesländern könnte man meiner Ansicht nach durchaus die Frage stellen, ob sie nicht auch darin begründet liegen, dass man versucht hat, diese christliche Tradition – so gebrochen sie auch sein mag – durch eine völlig unzureichende Ideologie zu ersetzen. Ich möchte, dass die Erinnerung an Gottes Taten, die durch die Bibel überliefert werden, lebendig gehalten werden, und dafür ist die Kirche zentral! 

Das ist aber im Moment nicht einfach! 

Das große Problem ist für mich, dass die Kirche es immer wieder selbst verschuldet hat, diesen Blick auf ihre ureigene Aufgabe zu verdunkeln.  

Wie beurteilen Sie denn die Gegenbewegung? Momentan gibt es ja auf vielen Ebenen Bestrebungen, die Versäumnisse aufzuholen, etwa mit Blick auf den Missbrauchsskandal, das kirchliche Arbeitsrecht oder den Umgang mit homosexuellen Menschen. 

Ich bin froh darüber und halte das für glaubwürdig. Es scheinen keine Aktionen in strategischer Hinsicht zu sein, weil man etwas machen muss, weil sonst der Zug abgefahren ist. Ich denke, man hat schon verstanden, worum es geht! Die Bereitschaft zu Veränderung ist sehr viel stärker geworden. Sicherlich wird es noch viele Hürden geben. Das grundsätzliche Interesse, sich damit auseinanderzusetzen, halte ich für ehrlich. Wir sind jetzt auf dem Weg, die gesellschaftliche Entwicklung in vielen Punkten erst einmal einzuholen. Wenn der Synodale Weg das schafft, kann man auch die Frage stellen, wie Kirche die Gesellschaft mitgestalten soll. Aber vorher werden wir nicht ernst genommen! 

Noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Wie gehen Sie mit den für Sie problematischen Stellen im Glaubensbekenntnis um? 

Ich spreche das mit, ganz pragmatisch. Das habe ich bei den Jesuiten gelernt: Denken und Fühlen mit der Kirche. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, wie ich das Gesagte interpretiere als Theologe. Ich habe kein Problem, die offiziellen liturgischen Texte mitzusprechen. Manches fällt mir leicht, anderes finde ich schwieriger! 

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